Monday, February 12, 2007

Abgebloggt

„Fast jeder Autor, der ein neues Buch veröffentlicht, tut es“, gesteht Pamela Paul in der New York Times: „das unwiderstehliche Eintauchen in einen vom Internet evozierten Narzissmuss.“ Die amerikanische Sachbuchautorin spricht hier von den so genannten Blogs. Genau wie sie nutzen auch viele ihrer Kollegen das vergleichbar junge Publikationsmedium zu ihrem Vorteil. Innerhalb des deutschen Literaturbetriebes zunächst kaum beachtet, zeigt sich die gewaltige Marktkraft der Blogs mittlerweile aber sehr deutlich in den USA. Das Buch “How would a Patriot Act?” des amerikanischen Autors Glenn Greenwald kann hier als Paradebeispiel angeführt werden. Innerhalb von nur drei Monaten wurde es konzipiert, geschrieben, verlegt und veröffentlicht. Eine bemerkenswerte Leistung. Viel beeindruckender erscheint aber die Tatsache, dass es das Werk im gleichen Zeitraum mit Hilfe der Blogger auf die amerikanischen Bestsellerlisten schaffte.
Die Möglichkeit, den Erfolg eines Buches in einem so kurzen Zeitabschnitt interaktiv zu beeinflussen, ist in dieser Form absolut neu. Einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos zu folge, schenken rund ein Viertel der europäischen Internetnutzer den in Blogs veröffentlichten Kommentaren und Beiträgen Glauben. Damit ist ein Meinungsbildendes Potential unverkennbar. Bleibt die Frage, wie sich die einheimischen Verlage, die Autorenschaft und das interessierte Lesepublikum mit der so genannten Blogosphäre auseinandersetzen? Wird der deutsche Literaturbetrieb den Aufsprung auf den bereits fahrenden „Blog- Zug“ noch bewerkstelligen können?
Ein besonderes Geschick im Umgang mit dieser jungen Publikationsplattform führen uns momentan einige große Zeitschriftenverlage vor. So sind beispielsweise Die Zeit und das Handelsblatt mit ersten Blogprojekten beschäftigt. Beide Zeitungen sind sich darin einig, dass sie einen Blog für besonders geeignet halten, um im Netz schnell und effektiv zu publizieren. Aus diesem Grund setzen sie bereits jetzt einige Journalisten als professionelle Blogger ein. Damit liegen sie völlig im Trend - das patchworkartige Arbeiten, das sich im breiten Feld der Informationen vernetzt und die scheinbaren Originalitätsansprüche bei Seite lässt, wird sich auf Dauer durchsetzen. Es werden sich Journalisten etablieren, die das pointierte Zuspitzen bereits vorliegender Materialien beherrschen.
Die Möglichkeiten der Meinungsmache im World Wide Web haben nun auch immer mehr Autoren für sich entdeckt und stellen sich in ihren privaten Blogs den Fragen des Lesepublikums. Natürlich kann sich der Schriftsteller auch direkt in einen Literaturblog einschalten, um die dort entstehenden Diskussionen zu verfolgen und eventuell eigene Ansichten zu einem Thema zum Ausdruck bringen.
Für das Kollektiv der Lesebegeisterten gibt es ebenfalls interessante Blogs. Auf Internetseiten wie Dienstraum.de oder Literturwelt.de kann sich die bibliophile Internetgemeinde über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt austauschen. Bücher werden dort bewertet, eventuell zum Lesen empfohlen, oder auch mal heftig kritisiert. Eine weitere Art der literarischen Vernetzung sind so genannte "Social Bookmark- Dienste“ wie Del.icio.us, Furl oder Spurl, die nach dem Empfehlungsprinzip funktionieren. Jeder Nutzer hat dort ein eigenes Profil angelegt, anhand dessen sich wiederum andere Leseinteressierte orientieren können. Auf solchen Seiten legen User täglich Lesezeichen zu ihren Lieblingsartikeln im Web ab. Das Ergebnis: Permanent erhält man aktuelles Lesefutter zu Themen, die einen höchstwahrscheinlich interessieren.
Doch wie ist es zu dieser rasanten Entwicklung der Blogs und den beschriebenen Folgeerscheinungen gekommen? Die ersten Spuren zum Thema Blog lassen sich im Sommer 1990 finden. Damals wurden sie noch als Online-Tagebücher bezeichnet, da es noch keinen adäquaten Ausdruck für dieses junge Phänomen gab. Der Begriff bezeichnete damals Webseiten, auf denen Internetnutzer kurze Einträge über ihr Privatleben verfassten, und so die Öffentlichkeit daran teilhaben ließ.
Es sollten sechs Jahre eifrigen Tagebuchschreibens vergehen, bis erstmals neue, benutzerfreundliche Bedienoberflächen geschaffen wurden.
Schließlich nannte man das Kind auch beim Namen - auf einer Website von Jorn Barger tauchte 1997 erstmals der Begriff "Weblog" auf, eine Wortkreuzung aus "Web" und "Log". Die Kurzform "Blog" folgte dann im Jahr 1999. Bereits zwei Jahre später erschienen erste Journalartikel und Forschungsarbeiten über das Thema.
Betrachtet man in heutiger Zeit die Größe der so genannten "Blogosphäre", so fällt auf, dass diese seit ihrer Erfindung beachtlich und kontinuierlich gewachsen ist. Die Internetdatenbank Technorati zählt momentan 63,2 Millionen Blogs weltweit. Als wäre diese Menge nicht schon beeindruckend – statistisch gesehen verdoppelt sich die Anzahl veröffentlichter Blogs alle fünf Monate.
Mit dem Wachstum der Blogosphäre nimmt auch die Menge unterschiedlicher Weblog- Formen zu. Sie bestehen oft aus einer Mischung von Kommentaren, Tagebuch-Einträgen und Kuriositäten aus dem Netz und dienen in erster Linie der Unterhaltung oder der persönlichen Selbstdarstellung im Internet. Neben diesen sehr persönlich gehaltenen Weblogs etablieren sich jedoch zunehmend auch Fach- Blogs, welche Fakten, Trends und Tipps zu einem bestimmten Thema veröffentlichen. Auch anerkannte Medien sind ernsthaft an dem Phänomen interessiert. Dies lässt sich schon daran erkennen, dass viele, der in Blogs diskutierten Themen, einfach von der etablierten Presse übernommen werden.
So ist es auch kein Wunder, das Mitarbeiter großer Unternehmen einen nicht geringen Teil ihrer Arbeitszeit vor ihrem Bildschirm verbringen, um systematisch die Diskussionen innerhalb der Blogs zu verfolgen. Sie versprechen sich dadurch ein schnelles und ehrliches Feedback. Diese Tatsache liefert zugleich eine Momentaufnahme der "Blogästhetik" - Weblogs bieten die Möglichkeit, direkt und ungefiltert gesellschaftliche Ereignisse aufzugreifen und zu präsentieren. So ist es nur logisch, dass momentan vorwiegend täglich und wöchentlich publizierende Medien diese Möglichkeiten nutzen. So sehr sich bei diesen Medien eine dauerhafte und zukunftsweisende Nutzung herauskristallisiert, so sehr ist der Einsatz von Blogs in größeren Verlagen derzeit unklar. Um nicht den Anschluss an die publizierende Gemeinschaft sowie an den Kunden zu verlieren, sollten diese Unternehmen jedoch schleunigst die Weichen stellen den Anschluss nicht zu verpassen.
Denn betrachtet man die erstaunliche Entwicklung der Blogosphäre, so muss man feststellen, dass sich der Zug bereits in volle Fahrt befindet. Es wird Zeit aufzuspringen.
Wir wünschen eine angenehme und erfolgreiche Reise!

DS/TL