Tuesday, January 09, 2007

„Wer taucht kann nicht untergehen“

Überschrift

„Wer taucht kann doch gar nicht untergehen“, sagt Thierry Chervel, vor der Urteilsverkündung durch das Frankfurter Landgericht. Gemeint ist hier das Urteil zur Verhandlung gegen die kleine Online-Redaktion Perlentaucher. Die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung werfen ihr Rezensionsklau vor. Denn die Printmedien fürchten um den klassischen Kulturjournalismus und um ihre Leserschaft.

1999 entstand die Idee eines Internet-Kulturmagazins. Während des Internethypes entschlossen sich Anja Seeliger und Bruder Niclas, Thierry Chervel und andere zur Gründung von Perlentaucher. Seit März 2000 ist der Perlentaucher nun online. Allmorgendlich ab 9 Uhr bringen findige Redakteure Licht in das Dunkel des Feuilletondschungels. Hier findet der Kulturinteressierte die interessantesten Artikel der deutschen Feuilletons ausgewertet und kurz zusammengefasst, Schlüsselbegriffe sind hervorgehoben und Links führen den Leser zu den Originalbeiträgen. Am frühen Nachmittag dann folgt die Bücherschau des Tages. Daran angeschlossen bietet Perlentaucher eine Buchdatenbank an, in der sich mehrere tausend Einträge zu Buchbesprechungen der großen deutschen Qualitätszeitungen finden. Darüber hinaus erstellt Perlentaucher Websites für Autoren und Buchtitel, die so genannte Buchmaschine. Jeden Dienstag erscheint zudem die Magazinrundschau, die einen Blick auf die internationale Kultur außerhalb des deutschsprachigen Raumes wirft. Weitere Dienste und Serviceleistungen, wie ein Newsletterabonnement oder die Rubrik „Vorgeblättert“, die die Buchneuerscheinungen der kommenden Saison im Vorabdruck vorstellt, runden das Angebot ab.

Das Magazin ist das Einzige seiner Art im deutschsprachigen Netz. 600.000 Besucher, zumeist mit Studienabschluss und überdurchschnittlichem Einkommen, nutzen das tägliche Angebot der kleinen Berliner Redaktion. Tendenz steigend. 2003 die verdiente Belohnung: die Jury des Grimme Online Awards bezeichnet Perlentaucher als ein „Journal der Journale“ und verleiht ihm im Bereich Medienjournalismus eine Auszeichnung für die beste Idee und Konzeption. Fein und uneitel gestaltet sei der Internetauftritt und das Wort stehe stets im Vordergrund, lobten die Juroren. 2005 geht die englischsprachige Schwesterseite signandsight.com mit Hilfe von Geldern der Kulturstiftung des Bundes an den Start. Perlentaucher selbst finanziert sich nicht aus öffentlichen Mitteln, um journalistisch unabhängig zu bleiben. „Niemand redet uns in Inhalte rein“, macht Thierry Chervel deutlich. Nicht nur durch Werbung auf der Website und in den eigenen Newslettern wird eine kostendeckende Finanzierung erreicht, sondern auch durch den Verkauf der zusammengefassten Buchrezensionen, die sog. Buchnotizen, an den Internetbuchhändler buecher.de. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer begraben.
Die Verlage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung klagen gegen das Online-Magazin. Der Vorwurf: Perlentaucher verletze Urheber- und Wettbewerbsrechte. Die Klage wendet sich gegen die kommerzielle Verwertung der Perlentaucher Buchbesprechungen, so genannte „abstracts“. Unter „abstracts“ versteht man hier die Zusammenfassung der Originalbuchkritiken aus FAZ und SZ ohne weitere Interpretation und Wertung durch Perlentaucher. Die Frage die sich für die Frankfurter Richter an diesem Punkt stellte, ist, ob das Lesen eines solchen „abstractes“, das Lesen des originalen Feuilletonartikels ersetzt. Denn die FAZ befürchtet, einen Rückgang ihrer Leserschaft, weil direkt neben der eigenen, ebenfalls an buecher.de verkauften, Rezension die Perlentaucher Buchnotiz stehe. Gegen die Zusammenfassungen der Feuilletonartikel auf der Perlentaucher Website an sich, habe man gar nichts, solange sie nicht kommerziell genutzt würden, so die FAZ. Also ein klarer Fall von Konkurrenz. Chervel ist hier jedoch anderer Meinung. Bis heute verstehe er nicht, wie der Perlentaucher mit seiner irrelevanten Größe, die FAZ und die SZ schädigen könne.

Doch ist die Sorge der Printmedien um ihren Kulturjournalismus begründet? Kann die Buchnotiz des Perlentauchers tatsächlichen einen Feuilletonartikel ersetzten? Glauben FAZ und SZ wirklich an einen Rückgang ihrer Leserschaft? Zumindest die Möglichkeit besteht, denn welcher Internet User geht um die Ecke zum nächsten Kiosk um die FAZ zu kaufen, wenn die neusten Nachrichten und Informationen nur den berühmten einen Klick entfernt sind? Umdenken heißt das Stichwort. Mit viel Selbstvertrauen sollten unsere großen deutschen Zeitungen das Internet vielmehr als Chance begreifen, ihre Bekanntheit noch weiter zu steigern und ein noch breiteres Publikum zu erreichen. Denn der Perlentaucher gehört zu jenen neuen journalistischen Angeboten des World Wide Web, die sich auch in Zukunft weiter verbreiten werden. Auf unnachahmliche Weise macht der Perlentaucher klar, dass das flüchtige, temporeiche Medium des Internets und der Kulturjournalismus einander nicht ausschließen müssen. Frei nach dem Grundsatz „in der Kürze liegt die Würze“ versteht es das Magazin auf seiner Suche nach literaturjournalistischen Perlen die wichtigsten Informationen auf den Punkt zu bringen und passt sich somit der Mentalität einer Hast- und Habe-keine-Zeit-Gesellschaft an. Der Perlentaucher besetzt eine lukrative Lücke zwischen Klappentext und Feuilletonartikel und kann so auf jeden Fall eine Zeitersparnis bieten. Problematisch bleibt jedoch weiter die Frage nach den eigenen Bedürfnissen des Lesers. Klickt er sich in sekundenschnelle von Text zu Text oder genießt er den Feuilletonteil lieber bei einer Tasse Kaffe am Frühstückstisch?

Im November dann das vorläufige Urteil: Das Frankfurter Landgericht wies die Klage ab und erklärte, dass die „abstracts“ weder gegen das Urheberrecht, das Wettbewerbsrecht
noch gegen das Markenrecht verstoßen. Das Lesen der Buchbesprechungen ersetze in keinem Falle das Lesen der Feuilletonartikel. Die Richter begründen ihr Urteil wie folgt: „Ob ein „abstract“ den Originalbeitrag zu ersetzen vermag, hängt nicht nur von objektiven Umständen, sondern ganz wesentlich von den subjektiven Bedürfnissen der Leser ab.“ Somit soll es dem Leser selbst überlassen bleiben, wie ausführlich er sich informieren möchte. Das Urteil erlaubt dem Perlentaucher vorläufig seine Suche nach literaturjournalistischen Perlen fort zu setzten. Nicht ganz unerwartet geht der Rechtsstreit 2007 jedoch in die nächste Runde. Im Januar legten FAZ und SZ beim Oberlandesgericht Frankfurt Berufung ein.
Aber wer taucht kann ja bekanntlich nicht untergehen.

J.H & N.W.


6 Comments:

Blogger Eingebung said...

Also erstmal muss ich großes Lob aussprechen. Euer Artikel ist gut geschrieben, leicht verständlich und trotzdem nicht flach. Besonders gut gefallen hat mir die Einleitung. Sprachstil und Idee sind hier wirklich klasse. Auch die Zitate von Chervel sind gut gewählt und passen prima an den Stellen, wo ihr sie gesetzt habt.
Problematisch finde ich jedoch einige Ausdrücke, wie z.B. "fein und uneitel" (was das ein Zitat oder eure Wortschöpfung? Wenn Zitat, dann bitte kennzeichnen) oder "Das Glück war ihnen hold". Auch die Verwendung von Sprichwörtern empfinde ich, gleich nach den drei Pünktchen am Ende des Artikels als No Go. Zudem ergeben für mich die zwei Sätze (recht weit am Schluss) mit dem Drahtseilakt keinen Sinn. Der Übergang zu "Ein weit verbreitetes Internet-Problem." fehlt, der Satz steht ohne Anfang und Ende im Raum. Ein Komma könnte hier schon helfen. Beim Wort "Internet-Problem" könnte man außerdem das "Internet" weglassen, womit sich auch eine Wortdopplung streichen würde, denn Internet kommt gleich einen Satz weiter schon wieder.
Alles in allem, ist der Artikel trotzdem sehr gelungen :)
S.H.

1:41 AM  
Blogger Eingebung said...

Ihr habt es geschafft, den "unwissenden" Leser mit eurem Artikel umfassend in die "Problematik Perlentaucher" einzuführen. Trotz vieler recht trockener Informationen ist es euch gelungen, den Text anschaulich zu gestalten und mit einigen gut gewählten Zitaten lebendig erscheinen zu lassen. Insbesondere gefällt mir außerdem die Wahl eines Zitates als Überschrift.
Eure Einführung und damit den Leitfaden "dunkle Wolken im Perlentaucherland" finde ich allerdings nicht besonders gelungen. Die Idee ist schon nicht schlecht, doch unterscheiden sich diese Teile des Artikels in Sprachverwendung und Stil so sehr vom Rest des Textes, dass ich sie nicht als angenehme Auflockerung, sondern eher als Stilbruch empfinde. Aber darüber lässt sich natürlich streiten...
mm

2:34 AM  
Blogger Eingebung said...

ich finde, euch ist ein gutes Wortspiel mit der Überschrift gelungen. auch der Einstieg ist gut gewählt mit der Fragestellung, die zur Problemstellung hinführt und direkt den roten Faden bildet. Dann folgen die Hintergrundinformationen, dieser Teil ist, finde ich, genau an der richtigen Stelle positioniert. Das baut auch Spannung auf - der Leser liest weiter, weil ihr ihn mit dem ersten absatz fesselt und ihm dann die nötigen Hintergrundinformationen liefert. Ihr erwähnt alles, was für Perlentaucher interessant und wissenswert ist, die Hintermänner werden dargestellt. daran erkennt man, das ihr ausführlich recherchiert habt. Der Leser wird weiterhin gut durch den Artikel geführt, ihr verliert nie den roten Faden und vergesst aber trotzdem nichts. Auch der Rechtsstreit wird jedem unwissenden Leser klar und informativ erläutert durch die gute Strukturierung und eine klare, einfache Hinführung zum Thema. Insgesamt: sehr kritisch und differenziert geschrieben (auch was den Urheberrechtsstreit angeht). Am besten finde ich die "Klammer" um euren Artikel, die ihn erst vollkommen und rund macht; sehr kreativ!!! AV

12:10 PM  
Blogger Eingebung said...

Ohne das ich jetzt bereits gesagtes oder geschriebenes wiederkäuen möchte: Mir ist auch ziemlich schnell dieser "cut" in euren Schreibstilen aufgefallen. Der eine träumerisch, der eine sachlich..das könnte man "glätten", denke ich.
TL

10:01 AM  
Blogger Eingebung said...

This comment has been removed by a blog administrator.

4:01 PM  
Blogger Eingebung said...

Ich finde den Artikel sowohl interessant, als auch nett zu lesen. Die Zitate sind, wie schon gesagt wurde, gut gewählt und gut in den Text eingebaut. Die Idee von den dunklen Wolken im Perlentaucherland finde ich nicht so mißlungen wie meine Vorredner. Nur den ersten Satz könnte man meiner Meinung nach terminieren, den finde ich unpassend. Pünktchen am Ende eines Artikels sind oft nicht schön, hier aber vollkommen in Ordnung.
DH

4:02 PM  

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