Thursday, January 11, 2007

Verlage setzen auf Verbündung

Deutsche Publikumsverlage und ihre Möglichkeiten, den multimedialen Konkurrenten "Internet" für eigene Zwecke der Literaturvermittlung einzuspannen

Ein Lotse geht von Bord. Der Internetchef Dirk Moldenhauer hat Rowohlt verlassen – nachdem er den Traditionsverlag sechs Jahre lang sicher und erfolgreich durch die Weiten des World Wide Web navigiert hat. Nicht etwa, weil es für ihn im digitalen Marketing nichts mehr zu tun gäbe, im Gegenteil: Moldenhauer und seine Kollegin Ulrike Schwermann gründeten eine Agentur für die professionelle Online-Vermarktung des gedruckten Wortes. Eine Agentur, in der sich der Wunsch des modernen Lesers nach multimedialer Information widerspiegelt. Doch wie hat der Schmöker über das Internet einen Weg gefunden, sich zu behaupten und in der modernen elektronischen Welt nicht nur auf seine Anhänger zu zählen, sondern in einem Meer von Daten und Dokumenten auch auf neue Leserschichten zu zutreiben?
„Die jüngeren Generationen gehen ganz selbstverständlich mit dem Internet als Informations- und Unterhaltungsmedium um und diese Generationen müssen wir als zukünftige bzw. jetzige Käuferschichten im Netz abholen“, beschreibt Sigurd Martin, Online Marketing Koordinator des Verlages S. Fischer, das Internet als „Marketing-Nebenstandbein“ des Frankfurter Publikumsverlages. Ein Spielbein, das allerdings immer mehr an Bedeutung gewinne und dementsprechend gefördert werden müsse. Obwohl nicht jeder gerne darüber spricht, hat diese Strategie vor keinem der führenden Publikumsverlage halt gemacht, sodass die Verlagshomepages in den neunziger Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen.
Dass die Sites etwas fürs Auge bieten liegt in der Natur ihres Wesens, doch deshalb müssen sie noch lange keine Augenweide sein. Der Suhrkamp Verlag zeigt, dass er weiß worauf es ankommt: Bilder müssen zu sehen sein und Texte daneben stehen. Er zeigt aber auch, dass Bilder und Texte nicht immer ein harmonisches Ganzes ergeben. Anders sieht es sowohl bei Hoffmann & Campe, als auch bei Hanser aus. Nach dem Motto „Weniger ist mehr“ haben der Hamburger und der Münchner Verlag Homepages mit schlichter Eleganz entworfen, die ein problemloses Handling und einen umfassenden Einblick in das Verlagsprogramm ermöglichen. Etwas mehr durfte es bei Fischer und Rowohlt sein. Visuelle Reize und aktuelle Gestaltungsformen lassen den Blick des Users auf der Homepage verweilen - mit etwas Glück auch so lange, dass er sich einen Weg durch das nicht immer klar strukturierte Angebot bahnen kann.
Mit dem gezielten Blick auf eine Homepage schließlich schlägt die Stunde der Literatur. Die Verlage haben sich einiges einfallen lassen, um den potentiellen Käufern ihre Bücher zu vermitteln. Die klassische Kurz-Inhaltsangabe ergänzt durch einige schmeichelnde Zitate kommt in seiner Einfachheit fast ausschließlich noch im Suhrkamp-Verlag zum Einsatz. Hoffmann & Campe, Fischer, Rowohlt und Hanser hingegen sind sich einig, dass dem medienverwöhnten Leser von heute mehr geboten werden muss. So gehört neben der Inhaltsangabe auch die Kurzbiographie zum Grund-Marketingprogramm eines literarischen Werkes. Anzahl und Gestaltung der Extras zeigen, welche Werbepriorität der Verlag dem jeweiligen Buch zuschreibt.
„Das Internet ist eine ideale Plattform zur Literaturvermittlung, weil es diese multimedial ermöglicht. Mit Trailern, Hörproben, Büchern zum Blättern etc. in Kombination mit traditionellen Vermittlungswegen kann der Kunde umfassend informiert werden“, weiß Sigurd Martin um die Möglichkeiten des Mediums Internet, die auch auf der Homepage der Fischerverlage vermehrt zum Einsatz kommen sollen.
Der Hanser Verlag versieht seine prestigeträchtigsten Werke mit „Specials“, in denen neben Informationen über Autor und Werk unter anderem auch Interviews, Gespräche, Autorenporträts und Lesungstermine zu finden sind. Als akustisches Highlight bietet er zu insgesamt 15 Büchern so genannte Podcasts an, über die der User unter anderem einem Autoreninterview lauschen konnte.
Rowohlt versteht es regelrecht, die Besucher seiner Homepage zu fesseln. Über die aktuellsten Werke informiert jeden Monat das Online-Magazin Bookmarks. Und auch das gedruckte Kundenmagazin Rowohlt Revue ist seit kurzem nicht mehr nur in der Buchhandlung zugänglich, sondern als elektronische Version an jedem Ort verfügbar. Ein Trailer zum derzeitigen Aushängeschild des Verlages rundet das Informationspaket rund um das Buch in Bild, Text und Ton ab.
Hut ab also vor den Verlagen, die den visuellen Maßstab hoch ansetzen und PR-journalistische Mittel nutzen, um ihre Bücher online zu vermarkten. Die Möglichkeit, seine Leser mit kleinen „Goodies“ wie Leseproben zu binden und die Nähe zum Autor räumen dem Verlag gegenüber dem Literaturjournalisten nicht zu unterschätzende Vorteile ein. Er muss sich warm anziehen, um mit dem Tempo Schritt zu halten. Doch der klassische Literaturjournalist hat einen kleinen Vorsprung: Er darf Kritik äußern, und nicht nur positive. Denn im Unterschied zu den Verlagen will er seine Meinung verkaufen, keine Bücher.
Die Verlagshomepages bleiben hingegen trotz aller Überschneidungen mit dem Literaturjournalismus Marketing-Instrumente. Sie bewerben ihre Bücher und in nicht seltenen Fällen sich selbst, sie bieten eine direkte Bestellmöglichkeit der Bücher an und tragen damit einen wesentlichen Teil dazu bei, den Untergang des gedruckten Wortes zu vermeiden und das Phänomen der Gutenberg-Galaxis weiter aufrecht zu erhalten. Verbündung mit der multimedialen Konkurrenz heißt die Devise, die es dem klassisch gedruckten Buch erlaubt, seine Popularität auch in Zukunft zu bewahren.
Die Entwicklung neuer Agenturen im Internet-Universum, die sich wie auf Umlaufbahnen rund um das Thema der Literaturvermittlung im virtuellen Medium drehen, trägt ihren Teil zum Fortbestehen der Gutenberg-Galaxis bei. Das Beispiel Moldenhauer/Schwermann beweist es: Visionär und zukunftsorientiert, kann man das Dienstleistungsunternehmen für Internetmarketing für eine vielversprechende Geschäftsidee halten, die das Buch mit dem zusätzlichen Angebot des Einzeltitelmarketings in den Mittelpunkt rückt wie nie zuvor. Der Lotse Moldenhauer geht also nicht an Land, er besteigt vielmehr ein neues Schiff zu neuen Ufern und zeigt, wohin die Reise geht.

MM AV

5 Comments:

Blogger Eingebung said...

Ihr habt einen echt tollen, sehr professionell wirkenden Text geschrieben! Er ist gut lesbar, schön aufgebaut und alles, was wichtig ist, wird angesproche. Man kann eurem roten Faden gut folgen und fühlt sich nirgends allein gelassen oder überfordert. Super!
Allerdings gibt es trotzdem ein paar Punkte, die verbesserungsmöglich wären: Die Überschrift z.B. ist zwar sehr ansprechend und mir ist euer Wortspiel klar, aber trotzdem ist das "Universum" irgendwie zu vage. Es entsteht so ein schiefes Bild, dass ihr vielleicht vermeiden könntet. Wie wärs mit den "Möglichkeiten des Internet-Universums/Literatur-Universums" Irgendsowas ist dann vielleicht klarer.
Dafür ist euer Einstieg über die Gutenberg-Galaxis wirklich gut. Ich befürchte zwar, dass nicht jeder weiß, was das sein soll, aber man erhält eine Vorstellung davon, was ihr meint - selbst wenn man von einem "unwissenden" Leser ausgeht.
Besonders gut hat mir eure Wortwahl nach den Zitaten gefallen. Mein Highlight - auch wenn es banal ist - war "'...' weiß Dr. S" Fand ich super :)
Allerdings ist eure Fragestellung in Bezug auf den Kulturjournalismus irgendwie zu klein. Ihr habt ihn angesprochen, das ist gut, aber es fehlt irgendwie noch etwas, damit hier die Problematik auch wirklich klar wird, zumal der Kulturjournalist zu kurz erwähnt wird, um ihn als Klammer-Motiv zu nutzen.
Dafür ist euer Vergleich der Websites toll. Selbst, wenn man sie nicht gesehen hat, kann man sich wirklich gut vorstellen, wie sie aussehen, auf was es ankommt und, was sie auszeichnet.
Also, wie gesagt, kleine Verbesserungen evtl., aber sonst toll :)
S.H.

4:39 AM  
Blogger Eingebung said...

Das Aufgreifen der "Gutenberg-Galaxis" fand ich super. Ich weiß zwar nicht, ob das alle Leser kennen werden, aber selbst wenn nicht, wird das im Verlaufe des Artikels klar. Euer Einstieg insgesamt ist super, und ähnelt dem von "Hand in Hand..."-Artikel. Ebenfalls sehr gut fand ich den Vergleich der Verlag-Homepages; den habt ihr sprachlich gut ausformuliert. Auch euer Schluss ist super zu lesen!
Irgendwo in der Mitte habe ich mal einen "Zeit"-Fehler (Präsens - Präteritum) bemerkt - aber das ist nur eine Kleinigkeit.

AD

6:23 AM  
Blogger Eingebung said...

Die Idee mit der "Gutenberg-Galaxie" gefällt mir sehr und wird gut umgesetzt. Ebenso gelungen sind die Vergleiche der verschiedenen Verlags-Websites.
Allerdings vestehe ich eure Entscheidung nicht, die Verlagsseiten auf eine mögliche Konkurrenz für den Literaturjournalismus hin zu untersuchen. Das passt bei den Amazon-Kritiken, bei den Verlagsseiten jedoch dürfte ohnehin klar sein, dass ihre Bücher verkaufen und mittels (mal mehr oder weniger) Rafinesse und Service dem Leser das Angebot schmackhaft machen wollen. Zu diesem Schluss kommt ihr ja auch schließlich.
Damit zusammenhängend verstehe ich auch nicht, warum sich der Literaturjournalismus "warm anziehen" muss. Da ihr zuvor ja klar gestellt habt, worin die Unterschiede zwischen der Werbung der Verlage im Internet und den objektiven Rezensionen liegen, meint ihr damit wohl, dass der Literturjournalismus im Internet auch stärker vertreten sein müsste?
SJ

9:00 AM  
Blogger Eingebung said...

Stilistisch finde ich euren Artikel super. Man kann ihm flüssig lesen und wir dzu keiner Zeit gelangweilt. Auch der Vergleich der Homepages ist gut gelungen. Insgesamt ein runder Artikel.
JH

12:05 AM  
Blogger Eingebung said...

Die Überschrift hat sofort mein Interesse geweckt (auch wenn sie bereits kritisiert wurde), und der folgende Text hat mich nicht enttäuscht. Eine gute Umsetzung eurer Aufgabe.
TL

9:52 AM  

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